Kalligraphie – eine mittlerweile äußerst seltene Bezeichnung für ein spezielles künstlerisches Feld. Modern ausgedrückt wird die Kalligraphie heute gerne als Handlettering bezeichnet. Dabei folgt die Kalligraphie im europäischen Kontext ganz klaren Regeln, wenn sie nicht im freien künstlerischen Ausdruck ihre eigene Formensprache entwickelt. Kalligraphie im klassischen Sinn bedeutet vor allem eines: Disziplin und Wissen um Binnen- und Außenform der von ihr dargestellten Schriften und Schriftfamilien. Kalligraphie kann geschrieben oder gezeichnet werden.

Andi Goral, Diplom Designer FH

Kalligraphie folgt dem Megatrend Beschleunigung

Alles begann mit Großbuchstaben. Die Capitalis Quadrata, die Großbuchstabenschrift der Römer. Noch heute findet sich diese Ur-Schriftform in Stein gehauen auf Relikten verteilt über das Gebiet des damaligen römischen Reichs. Von Rom, über Köln, Trier und viele andere Orte. Capitalis Quadrata ist umständlich zu schreiben und es dauert lange bis der Text auf Papier gebracht ist. Aber sie ist die Basis der Majuskeln unserer lateinischen Ausgangsschrift, also der Großbuchstaben.

Schon den Römern war es zu mühsam Buchstabe für Buchstabe exakt im Winkel zu schreiben und so entwickelten sie für ihre Wachstafeln die Capitalis Rustica eine Kursive, die ebenfalls nur aus Großbuchstaben besteht. Denn Menschen können Kursiven schneller schreiben.

Im Laufe der Jahre entwickelten sich Unziale und Halbunziale. Buchstaben wurden abgerundet geschrieben und entwickelten eine eigene Dynamik, wenngleich beide Schriften sich aus Großbuchstaben bildeten. Ein weiteres Manko der Großbuchstabenschriften: Auf Wortabstände verzichteten die römischen und die Gestalter des frühen Mittelalters. Das ergibt zwar ein geschlossenes Schriftbild, ist aber für moderne Menschen kaum zu lesen und wenn dann nur sehr langsam.

Aus der Halbunziale entwickelte sich die karlingische oder karolingische Minuskel. Mit ihr findet das lateinische Alphabet in seiner Formenentwicklung seinen Abschluss und wird so heute mit den Groß- und Kleinbuchstaben von uns so noch verwendet. Alle folgenden Formbildungen, sei es die Humanistische Kursive als Schreibschrift der römisch-katholischen Kirche, Antiqua-Schriften, Frakturschriften, Grotesken oder die Schreibschrift des Klassizismus die Englische Schreibschrift sind eigentlich nur modische Ausprägungen der lateinischen Schrift. Das gilt auch für moderne Computerschriften.

Teil des Designstudiums

Kalligraphie war in der vordigitalen Zeit an einigen Design-Hochschulen Pflichtfach. So auch in Augsburg, wo Andi Goral bei Professor Lisa Beck die Grundlagen der Kalligraphie erlernte. Schriften wie Capitalis Quadrata, Unziale, Halbunziale, Karlingische Minuskel oder Humanistische Kursive wurden mit Tintenfass und Schreibfeder ausgiebig geschrieben. Später folgte die Englische Schreibschrift, für die Tätigkeit als Kalligraph im Auswärtigen Amt. Kalligraphie für Gästebücher, hochrangige Empfänge, Menukarten oder Urkunden wurden tagtäglich von Hand geschrieben. Später folgten Aufträge für wichtige Empfänge großer Industrieunternehmen, Verbände und anderer Organisationen.

Kalligraphie diszipliniert und schärft Sehfähigkeit und visuelles Denken des Gestalters auf besondere Art und Weise. Gleichzeitig kann sie sich alle künstlerischen Freiheiten herausnehmen, ist nicht gebunden an Form, Werkzeug oder Farbe.